Ohne jegliche Wandererfahrung oder -affinität startete ich im August 2018 auf den Camino Frances, den „klassischen“ Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela. Dieser Weg sollte tatsächlich mein Leben verändern, denn von nun an bedeutete „Urlaub“ für mich nur noch Wandern, Outdoor und Abenteuer!
Idee und Anreise
Am 25.08.2018 stand ich in Allerherrgottsfrüh mit einem ziemlich großen Rucksack etwas nervös am Kölner Hauptbahnhof und wartete auf den Thalys. Viele Monate vorher hatte ich sehr gelangweilt an irgendeinem Samstag im Frühling in meiner Passauer Studentenwohnung gesessen und auf einmal gedacht: Es wäre doch total cool den Jakobsweg zu gehen! Bis heute weiß ich nicht, wieso mein Hirn in diesem Moment genau das dachte… Ich war vorher NIE wandern gewesen und mit meinen Eltern wahlweise an der Nordsee oder in Großbritannien im Urlaub gewesen – da war man dann am Strand oder machte etwas kulturell Wertvolles. Ein Kommilitone war im Herbst zuvor wohl den Jakobsweg gegangen, das wusste ich, hatte mich mit ihm aber nie darüber unterhalten; das änderte sich nun freilich. Meine Eltern hielten das natürlich erstmal für eine Schnapsidee, aber nachdem ich die Zugtickets für den Hinweg und ein Rückflugticket gekauft hatte, war ihnen wohl klar, dass ich es ernst meinte. Wanderequipment musste auch angeschafft werden – Decathlon wurde hierbei zum Laden meines Vertrauens.
Für die Anreise hatte ich den Zug gewählt, da es finanziell keinen Unterschied zur Flugverbindung gab und ich mir zudem den Umstieg am Pariser Flughafen Charles de Gaulle und die damit verbundene Gefahr, mein Gepäck zu verlieren, sparen wollte. So dauerte es einen vollen Tag, ehe ich mit meinem großen Rucksack von Köln ins kleine Saint-Jean-Pied-de-Port an der französisch-spanischen Grenze gelangt war. In Paris musste ich den Bahnhof wechseln (per Taxi) und dann nochmal in Bayonne ein bisschen Zeit totschlagen, bevor ich schlussendlich im Zug nach Saint-Jean saß. Dort hatte ich mir ein Einzelzimmer in einer Herberge reserviert und bezog Quartier.
Etappe 1: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles (24.9km)
Etwas verloren saß ich morgens noch vor 7 Uhr in der Herberge am Frühstückstisch – alle anderen kannten sich aus dem Schlafsaal, ich war allein auf meinem Zimmer gewesen… Schnell holte ich mir meinen allerersten Stempel bei der Herbergsmutter ab und trat in die kühle Morgenluft. Direkt hinter dem Ort begann der Anstieg in die Pyrenäen, die es an diesem Tag zu überqueren galt. Bald kam ich mit einem dänischen Pilger ins Gespräch, doch mit seinem Tempo konnte ich nur kurz mithalten. Ein schlecht gepackter, viel zu schwerer Rucksack und meine nicht vorhandene Wandererfahrung setzten mir auf dieser beinahe härtesten Etappe des ganzen Weges enorm zu. Eine erste längere Pause legte ich beim Refuge Orisson ein, welches es ermöglicht, die lange erste Etappe in zwei Abschnitte zu teilen. Dort zippte ich ob der hohen Temperaturen meine Hosenbeine ab und war von da an kurz unterwegs; dass ich am Abend komplett verbrannte Waden hatte, dürfte ein Grund dafür sein, dass ich seither eigentlich immer in langen Hosen wandere. Einmal warf ich mich erschöpft an den Wegesrand und lag dort, bis ich plötzlich beobachtete, wie sich eine Schlange zu mir schlängelte. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und sah die Schlange irgendwo bei meinem Rucksack verschwinden. Das trug nun nicht gerade dazu bei, dass ich diesen nun lieber trug… Vielmehr wartete ich einige Minuten und schüttelte den Rucksack kräftig. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als ihn wieder zu schultern und weiterzuwandern – die Schlange war zum Glück offensichtlich im Gebüsch verschwunden. Viele kurze und längere Pausen später hatte ich den höchsten Punkt des Tages (1437m) erreicht – von Erholung nun jedoch keine Spur, zu steil und steinig der Abstieg nach Roncesvalles. Am Nachmittag dort angekommen, sicherte ich mir ein Bett in der großen, von niederländischen Freiwilligen geführten Herberge und versuchte, mich zu erholen und in Ruhe den ersten Tag meiner Pilgerreise zu verarbeiten.
Etappe 2: Roncesvalles – Zubiri (21.5km)
Die Nacht war eher kalt, denn ich hatte nur einen dünnen Hüttenschlafsack dabei. Daher war ich froh als ich am Morgen noch im Dunkeln wieder aufbrechen konnte. Nach den ersten Kilometern des Tages traf ich auf den Deutschen Bernd, mit dem ich nun eine gute Stunde inklusiver einer vormittäglichen Pause wanderte. In der Zwischenzeit vergrößerten wir unsere kleine Gruppe um eine weitere Deutsche namens Ricki. Bernd, mit den Sonnenkollektoren auf seinem Rucksack von weitem zu erkennen und in Gedenken an einen zu früh verstorbenen Freund unterwegs, legte ein Tempo vor, dem Ricki und ich nicht folgen konnten und wollten. So ließen wir ihn ziehen und obwohl ich so viele Menschen auf dem Camino immer wieder traf, sah ich Bernd nie wieder. Kurze Zeit später wurden wir aber wieder zum Trio: Alexander aus Marburg. Offensichtlich hatten Ricki und Alexander in der Nacht zuvor im Vierer-Abteil direkt neben mir geschlafen… Gemeinsam schleppten wir uns den steinigen Abstieg nach Zubiri hinunter. Der Wanderführer sah zwar eine Etappe bis nach Larrasoana, also noch einige Kilometer weiter vor, aber der Abstieg hatte uns geschafft und so suchten wir in Zubiri gemeinsam mit dem Austro-Spanier Federico die Pilgerherberge auf. Dann wurde Wäsche gewaschen, Proviant eingekauft, am Fluss entspannt, gekocht und bei einem verdienten Feierabend-Bier (es sollte zur Institution werden) gequatscht, bis es dunkel wurde.
Etappe 3: Zubiri – Pamplona (20.7km)
Plan war in der nun bestehenden Vierergruppe entspannt die flachen 20 Kilometer nach Pamplona zu laufen. Aus dem „entspannt“ wurde dann mal so gar nichts… Kurz hinter Larrasoana bekam Ricki Knie- und ich Achillessehnenprobleme und in der glühenden Mittagshitze mit deutlich über 30°C ging uns sogar mal kurzzeitig das Wasser aus. Für Federico war das ganze wohl auch eine ganz interessante Erfahrung – drei Deutsche beugten zeitweise über zwei verschiedenen Wanderführern und versuchten in völliger Ignoranz der Beschilderung den richtigen Weg zu ergründen. Nach 9 Stunden (!) und unzähligen Pausen waren wir dann endlich im Vorstadtgebiet von Pamplona angekommen und wähnten uns bereits am Ziel – weit gefehlt! Wie sehr naive und erschöpfte Schafe dackelten wir Federico hinterher; Lehre: ein Spanier kennt sich nicht automatisch überall in Spanien aus… Und so kam es, dass wir ein und denselben Kilometer insgesamt DREI Mal liefen, ehe wir die richtige Richtung ins Zentrum von Pamplona gefunden hatten. Federico zog es in die Herberge zu brasilianischen Pilgerbekanntschaften, während wir uns für die Strapazen mit einem gemeinsamen Hotelzimmer entschädigten.
Ehe es in die nächste größere Stadt ging, mussten wir erstmal wieder fünf Tage wandern… Lest hier, was wir auf dem Weg nach Logroño alles erlebt haben!