Nach einer Woche in unveränderter „Teambesetzung“ auf dem Camino Frances entwickelten sich zunehmend Automatismen und Abläufe – tagsüber passierte weiterhin viel, aber sobald wir angekommen waren, spulten wir unser Programm aus Waschen, Duschen, Kochen, Einkaufen und Schlafen ab. Auf dem Stück zwischen Logroño und Burgos kamen wir aber in einer Herberge unter, die erstmal nicht leicht zu finden und dann auch noch etwas ganz besonderes war….
Etappe 9: Logroño – Ventosa (19.4km)
Die Nacht war begrenzt erholsam gewesen, wir waren geschwitzt als hätten wir die Etappe des Tages bereits hinter uns… Zum Start in den Tag erwartete uns zunächst eine sehr unbeliebte Aufgabe, die auf dem Camino Frances leider häufiger vorkommt: Aus einer größeren Stadt samt Urbanität herauswandern. Nachdem das geschafft war, wanderten wir durch ein Naherholungsgebiet mit entsprechend vielen Joggern und Hundebesitzern. Erst nach 10km in einem kleineren Ort machten wir die erste Pause des Tages und deckten uns in einer „Farmacia“ mit neuen Tapebeständen ein – auf dem Camino Frances eine wichtige Ressource für viele Pilger. Bei nun leichtem Nieselregen und gedämpfter Stimmung wanderten wir weiter Richtung Tagesziel Ventosa. Für den nächsten Tag war ein aktiver Erholungstag mit nur etwa 10km geplant und diese Erholung benötigten wir wirklich dringend. Zum Ende der Etappe war an Nieselregen oder Wolken nicht mehr zu denken, vielmehr mussten wir die letzten Kilometer in der obligatorischen Mittagshitze absolvieren. In Ventosa angekommen organisierten wir uns Betten in der einzigen Pilgerherberge und gingen nach erholsamer Siesta noch den typischen nachmittäglichen und abendlichen Tätigkeiten wie Einkaufen, Wäsche waschen, Essen (vor)kochen, und Abendessen nach. Dann wurde geschlafen.
Etappe 10: Ventosa – Azofra (16.1km)
Wir konnten es einfach nicht lassen…. Im 10km entfernten Najera wollten wir uns für unseren Erholungstag ein Hotelzimmer gönnen. Von dieser Aussicht angetrieben, brauchten wir inklusive Frühstückspause nur zweieinhalb Stunden für den Weg und waren somit sehr, sehr früh am auserkorenen Etappenziel. Eine kurze Diskussion später befanden wir uns auf dem Weg ins weitere 6km entfernte Azofra. Dort kamen wir ebenfalls so früh an, dass die Herberge noch geschlossen hatte. Nun setzte sich aber Fraktion Erholung durch und wir warteten im Vorhof der Herberge, bis diese öffnete und organisierten uns dann zwei Doppelzimmer; wobei Zimmer wohl eine etwas beschönigende Bezeichnung für diese kaum 4 Quadratmeter großen Verschläge, die sich nur durch Spanplatten abgetrennt am langen Gang aneinanderreihten, war. Da das ja eigentlich ein Erholungstag sein sollte, lagen wir vor allem lethargisch auf unseren Betten herum, nur unterbrochen von einer durchaus nötigen Dusche. Vor dem Zubettgehen kochten wir noch Essen für den nächsten Tag vor und aßen zu Abend.
Hast du Tipps, wie man „Erholungstage“ auf dem Camino Frances am besten gestaltet? Teile deine Ideen und Erfahrungen mit uns!
Etappe 11: Azofra – Granon (21.4km)
Relativ spät, erst kurz nach 8 Uhr, starteten wir an diesem Tag und er begann mit einem Einschnitt: Aus unserem Trio wurde zumindest temporär nur ein Duo und Alexander ging in seinem eigenen, schnellen Tempo voran. Passend zu dieser traurigen Trennung regnete es in Strömen und Ricki und ich kämpften uns bis in den nächsten Ort, wo unsere Hoffnung auf ein trockenes Frühstücksplätzchen in einem Café enttäuscht wurde und stattdessen Rickis Regenponcho erstmals etwas vom Camino Frances zu sehen bekam. Erst 8km später in Santo Domingo de la Calzada fanden wir ziemlich durchnässt ein Café, in dem wir nun endlich „frühstücken“ und uns aufwärmen konnten. Als Ziel machten wir Granon aus und wollten hier eine Herberge ansteuern, die zwar etwas außerhalb des Ortes, aber dafür laut Wanderführer besonders lohnend sein sollte. Der Weg dorthin erwies sich allerdings als ziemlich Herausforderung: Wir folgten Google Maps etwa 3km vom Hauptweg durch Felder bis zu dem Punkt, wo die Herberge markiert war, und sahen – nichts. Nur Feldweg. Erschöpft und frustriert sanken wir auf dem Weg zusammen.
Tipp: Nutze Offline-Karten wie Komoot, wenn du abseits der Hauptwege unterwegs bist. Nicht alle Herbergen oder Ziele sind auf dem Jakobsweg klar ausgeschildert, besonders, wenn sie etwas abseits liegen.
Der Regen wurde stärker. Ein gutes Stück weiter (in die Richtung, aus der wir kamen) sahen wir im Wald ein Gebäude und als wir dort angekommen waren, stellte es sich tatsächlich als die gesuchte Herberge heraus. Hier warteten noch weitere Kuriositäten, wovon die im selben Gebäude gelegene Kirche noch die geringste war. Die Herberge war neu eröffnet worden, was dazu führte, dass die Herbergsmutter, mit der wir übrigens in Ermangelung von Englischkenntnissen ihrerseits und Spanischkenntnissen unsererseits mithilfe einer Übersetzungsapp kommunizierten, noch nicht wirklich auf Gäste vorbereitet war und nicht mal einen Pilgerstempel dahatte. Naja, die Herberge war schön und etwas zum Abendessen (+ Bier natürlich) bekamen wir auch. In einem Gemeinschaftsraum, den wir zu zweit bevölkerten, sahen wir uns die Sitcom „Modern Family“ auf Spanisch an. Irgendwann wurde uns klar, dass wir die einzigen Übernachtungsgäste im wirklich großen Gebäude waren… Spätestens als die Herbergsmutter dann nach Hause fuhr, war es etwas unheimlich ganz allein in dieser Herberge im Wald zu sein… Trotzdem fanden wir alsbald unseren Schlaf, der Tag war anstrengend und aufregend genug gewesen.
Warst du schon einmal in einer Herberge, die so versteckt liegt wie diese? Teile deine Erfahrungen mit uns und hilf anderen Pilgern, solche Abenteuer besser zu meistern!
Etappe 12: Granon – Tosantos (20.6km)
Wir starteten recht früh aus der verlassenen Herberge, hatten aber auch etwas Strecke zurück zum Hauptweg gutzumachen. Zunächst kamen wir gut voran, doch dann begann Rickis Knie wieder zu zwicken und meine Wade schloss sich dem ganz solidarisch an. Also verkürzten wir unsere eigentlich geplante Etappe um 4km und suchten uns – nachdem die zweite Hälfte der Strecke eine wahre Quälerei gewesen war – bereits in Tosantos eine Herberge. Diese war dann auch ganz schön, mit dem Highlight zahlreicher Sitz- und Liegemöglichkeiten auf Plastikrasen. Dort aßen wir dann auch zu Abend. Dieser Tag war tatsächlich, genau wie es sich liest, ziemlich ereignislos – wir wuschen nicht mal Wäsche oder kochten Essen für den nächsten Tag vor, sondern legten uns unmittelbar nach dem Abendessen in den Schlafsaal schlafen.
Etappe 13: Tosantos – Ages (22.7km)
Bereits um 6.30 Uhr machten wir uns auf den Weg, lag doch einiges an Strecke und ein Berg vor uns. Noch vor der ersten Helligkeit waren 4km absolviert und im Dorf vor dem Berg gab es dann zur Stärkung ein übliches Camino-Frühstück aus süßer Backware (z.B. Schokocroissant) und Orangensaft. Der folgende Abschnitt war landschaftlich wirklich schön – zeitweise wanderten wir über roten Boden und kamen an einem Rastplatz mit indianisch anmutenden Pfählen vorbei. Wirkliche Infrastruktur gab es mehrere Stunden lang allerdings nicht, weshalb wir die Pausengelegenheit in San Juan de Ortega dankbar nutzten und einen typischen Camino-Mittagssnack aus „Bocadillo con quaeso y jamon“ (Schinken-Käse-Sandwich) und Coca-Cola zu uns nahmen. 4km später war das Tagesziel Ages erreicht, wo wir uns in einem wenig attraktiven 36er-Schlafsaal einquartierten. Da dort an eine erholsame Siesta nicht zu denken war, verließen wir die Herberge wieder und legten uns etwas außerhalb des Ortes in ein Getreidefeld und sonnten uns. Nach einem kleinen Abendessen im Ort und einem Dosenbier auf der Bordsteinkante kehrten wir in die Herberge zurück und verbrachten eine unruhige Nacht – irgendjemand (gerne ältere Brasilianer oder zierliche Asiatinnen) schnarcht immer…
Etappe 14: Ages – Burgos (23km)
Es wurde mal wieder Zeit für eine Großstadt auf dem Camino Frances, Burgos stand auf dem Programm. In tiefster Dunkelheit starteten wir und passierten ein militärisches Sperrgebiet auf dem Weg zur ersten Erhebung des Tages. Oben angekommen vereinigten sich mehrere deutsche Kleingruppen, sodass ich mich auf einmal mit fast 10 weiteren Pilgern konfrontiert sah. Das war dann doch zu viel für mich und den kleinen Misanthropen in mir – ich ließ die Gruppe mit Leichtigkeit hinter mir und flog förmlich bis zum nächsten Dorf, wo ich in einem kleinen Café frühstückte. Als die Gruppe, in der auch Ricki war, anrückte, floh ich wieder und marschierte durch die nun langsam aufkommende Hitze an einer Straße entlang, bis das Gelände eines Flugplatzes erreicht war und dann umrundet wurde. Bald war das Stadtgebiet von Burgos erreicht; zum Glück führte der Weg auch hier noch eine Zeit lang durch einen Park. Von dort aus war es dann nicht mehr weit bis zu dem Hotel, in dem Ricki und ich ein Doppelzimmer gebucht hatten. Da ich einen beträchtlichen Vorsprung herausgewandert hatte, musste ich einige Zeit warten, dann konnten wir jedoch gemeinsam einchecken. Am Abend trafen wir uns noch mit Alexander im Stadtzentrum zum Essen, dann versanken wir im ungewohnt bequemen und warmen Hotelbett.
Nun ging es also endlich in die Meseta! Und sie sollte uns zu neuen Spitzenleistungen antreiben – lest hier, wie wir auf dem Weg nach Leon die Kornkammer Spaniens durchwanderten!