Bis zur nächsten Großstadt, Leon, mussten wir eine Woche lang die Meseta durchwandern. Das verlangte uns alles ab, gleichzeitig konnten wir hier aber auch neue Maßstäbe setzen. Außerdem machten wir immer wieder neue, nette Pilgerbekanntschaften, mit denen wir ein Stück wanderten.
Etappe 15: Burgos – Tardajos (10.5km)
Wenn man dann ausnahmsweise mal in einem Hotel nächtigt, dann wird die Checkout-Zeit auch ausgereizt, so gut es nur geht! Nach einem Frühstück brachen wir schließlich gegen 12 Uhr auf – unnötig zu sagen, dass wir das bereuen sollten… Zunächst einmal galt es, die Kathedrale von Burgos zu finden, dort würden wir schließlich auch den Jakobsweg wieder finden. Zu den 3km dorthin kamen noch einige weitere, ehe wir endlich Burgos und seine Ausläufer verlassen hatten. Davon ohnehin schon angestrengt und genervt, erwischte uns jetzt die Mittagshitze auf offenem Feld erbarmungslos. Wirklich weit war es zwar nicht, von Burgos aus hatten wir nur etwas mehr als 10km zu wandern, durch den späten Start und das Wandern ausschließlich in der Hitze, fühlte sich diese Etappe am Ende aber mindestens doppelt so lang an. In Tardajos angekommen, fanden wir eine schöne, gepflegte Herberge, in der wir nicht nur Wäsche waschen, sondern auch zu Abend essen konnten.
Etappe 16: Tardajos – Hontanas (20.4km)
Hinter Burgos beginnt die Meseta. Was heißt das? Getreidefelder soweit das Auge reicht, schnurgerade Wege hindurch und absolut kein Schatten. Deshalb waren wir etwas unzufrieden „erst“ um 7 Uhr loszukommen, denn in den kommenden Tagen war die Devise, möglichst viel Strecke vor dem Mittag und der einsetzenden Hitze geschafft zu haben. Der Weg war eintönig und spätestens jetzt war uns klar, was die Meseta in der nächsten Zeit für uns bedeuten würde. Für mich war sie auch seltsam verdrehte Art und Weise wunderschön und ich genoss es, meinen inneren Schweinehund zum Schweigen zu bringen, während alle Pilger um mich herum stöhnten und litten. Natürlich setzte auch mir die Hitze zu und so war ich froh, als wir das Etappenziel Hontanas erreicht hatten. Nachdem wir in der Herberge unsere Siesta gehalten hatten, gingen wir am frühen Abend nochmal in den Ort und betrachteten unter anderem die namensgebende Quelle – Hontanas hieß nämlich ursprünglich mal Fontanas; durch Konsonantenverschiebung änderte sich der Name. Natürlich gönnten wir uns auch ein Abendessen samt verdientem Bier – hierfür mussten wir nochmal ein Stück zurück zum Ortseingang laufen und allein dieser Weg war eine unbeschreibliche Anstrengung. Wenn man nämlich einmal die Wanderschuhe ausgezogen hatte, nahm der Körper und Kopf das als Signal, dass man sich heute gefälligst nicht mehr zu bewegen hatte… Da wir großen Respekt vor der kommenden Etappe hatten und am liebsten noch weit vor Sonnenaufgang aufstehen wollten, hatten wir uns ein Doppelzimmer organisiert und gingen bereits um kurz nach 20 Uhr schlafen.
Etappe 17: Hontanas – Boadilla del Camino (28.4km)
Wir schafften es tatsächlich um 4 Uhr aufzustehen! Dabei hörten wir, wie auch schon die ganze Nacht über, dass sich ein englischsprachiges Elternpaar in einem Nebenzimmer offensichtlich mit ihrem Kleinkind oder Säugling „Sully“ auf den Weg gemacht hatte, und dieser nicht viel Lust zu schlafen hatte. Nicht mal eine Stunde nachdem wir noch sehr verschlafen aufgestanden waren, fanden wir uns auf dem Camino wieder. Die ersten 10km verliefen in absoluter Dunkelheit. Als wir die Ruine des Convento de San Anton passierten, konnten wir durch den doppelten Spitzbogen, der genau über den Weg führt, in den Himmel gucken und sahen die Sterne – ein wirklich schönes Bild. Im ersten Dorf, Castrojeriz, wollten wir eigentlich eine Frühstückspause einlegen. Das sah ein recht kleiner, dafür umso lauterer, Hund auf seinem Territorium ganz anders und machte es sich zur Aufgabe, nicht nur das ganze Dorf aufzuwecken, sondern uns auch bestimmt 10 Minuten lang zu verfolgen, um sicherzugehen, dass wir auch tatsächlich weg waren. Erst nachdem wir diese unschöne Situation hinter uns gelassen hatten, ließen wir uns in Ruhe auf einer Bank nieder und frühstückten. Hinter dem Dorf ging es dann einen Berg hoch – der Anstieg zog sich auf einem Kilometer mit 12% Steigung hin. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich marschierte los! Auf meinem Weg nach oben überholte ich annähernd 20 Pilger und erwartete hochzufrieden Ricki am Gipfel. Nun muss man leider von einem Berg oder Hügel in der Regel auch wieder herunter und der Weg zurück in die Ebene der Meseta war nicht minder steil als der Aufstieg – meine Knie bedankten sich. Bis in den nächsten Ort, Itero de la Vega, wanderten wir 7km durch Getreidefelder und gönnten uns dann nochmal eine Pause. Das restliche Stück bis nach Boadilla del Camino war nämlich noch weitere 8km lang und wies keinerlei Infrastruktur auf, sodass wir trotz Temperaturen von über 30°C keine weitere Pause einlegten. Am Ziel angekommen kamen wir in der Pilgerherberge in einem 18er-Schlafsaal unter. Erstmals auf unserem Weg erlebten wir dann ein gemeinsames Abendessen mit allen Pilgern in der Herberge. Hier unterhielt ich mich auch mit den Eltern von Sully, die wir bereits auf der Etappe mit Baby in der Rückentrage gesehen hatten. Der Kleine war tatsächlich nicht mal ein Jahr alt und erlebte schon den Jakobsweg zusammen mit seinen Eltern, die aus Oregon kamen, wo der Vater als Park Ranger arbeitete. Außerdem lernten wir beim Essen auch den 53jährigen Christian aus Troisdorf kennen, der seinen Weg in Burgos begonnen hatte. Nach vielen interessanten Gesprächen und etwas Rotwein sanken wir dann erschöpft ins Bett.
Etappe 18: Boadilla del Camino – Carrion de los Condes (25.5km)
Wir hatten uns gelobt, nie wieder so früh, wie am Tag zuvor aufzustehen – das war es einfach nicht wert. Immerhin um kurz nach 6 Uhr machten wir uns auf den Weg und wanderten an einem Kanal entlang, wobei uns auf einem dunklen Feldweg ein Fahrzeug der Guardia Civil entgegenkam. Wie üblich frühstückten wir im ersten Ort, diesmal war es Fromista, der meist nach 4 bis 10km kam. Hier trafen wir auf Christian, den wir am Vorabend kennengelernt hatten und wanderten nun mit ihm. Wenig später erweiterten wir unsere Gruppe um den Schweizer Reto, dafür musste dann Christian, der in seinem Rucksack doch tatsächlich eine Jeans mit sich herumschleppte, aber ob unseres Tempos und der Temperaturen abreißen lassen. Nach einiger Quälerei erreichten wir schließlich Carrion de los Condes, wo im Grunde alle Pilger Halt machten, da danach 18km ohne Infrastruktur warteten. Nach einiger Sucherei im Ort, quartierten wir uns doch etwas widerwillig in der Klosterherberge ein. Hier war es kalt, eng und einfach ungemütlich. Also sahen wir zu, dass wir schnell in den Ort kamen, kauften dort ein und aßen zusammen mit vielen anderen Deutschen, auch Alexander, zu Abend.
Etappe 19: Carrion de los Condes – Sahagun (41.5km)
Nachdem Ricki, Reto und ich etwas später als geplant losgezogen waren, machten wir nach 8km Frühstückspause. Unser Rastplatz lag am Anfang der alten Römerstraße Via Aquitana, die von dort aus noch weitere 10km ohne auch nur eine Kurve ins nächste Dorf führen würde. Während unseres Frühstücks gesellte sich eine größere Gruppe bekannter Pilger zu uns – das war mal wieder zu viel für mich. Da ich Alexander nur wenige Kilometer vor mir wähnte und Ricki und Reto die nächste Nacht im Freien verbringen wollten, beschloss ich, ihn einzuholen. Also marschierte ich los. Ohne die geringste Verschnaufpause erreichte ich das Ende der Römerstraße nach etwa anderthalb Stunden und sah dort doch tatsächlich Alexander vor einem Café sitzen! Er saß dort bereits längere Zeit mit einer deutschen Journalistin namens Jenifer und ich wollte natürlich nicht für weitere Verzögerung sorgen und verzichtete so auf eine eigentlich dringend benötigte Pause, um mit den beiden weiterzuwandern. Zum Glück lief Jenifer ein eher entspanntes Tempo und so war ich halbwegs erholt, als wir Ledigos erreichten, wo die Hälfte des Caminos geschafft war. Nach einer Pause liefen wir weiter nach Terradillos de los Templarios – dort hatte die Etappe bereits 28km, was für Jenifer mehr als genug war. Also luden wir sie in der dortigen Herberge ab; allerdings nicht ohne uns mit einer monströsen Dose spanischen Energydrinks auszustatten. Unser neues Ziel: Sahagun, weitere 13km entfernt. Gedopt mit viel Koffein, Taurin, Zucker und was sonst noch alles, schleppte ich mich Alexander hinterher. Für einen kurzen Zielsprint reichte es dann dennoch und wir konnten uns zu einem absolvierten Wandermarathon gratulieren! Nun suchten wir uns ein Hostel. Als wir an die Rezeption traten sahen wir wohl so fertig aus, dass die Rezeptionistin uns erstmal eine Literflasche Wasser spendierte. Auf ihre Frage, warum ich mich nicht hinsetzen würde, erklärte Alexander ihr, dass es dann nur noch schlimmer werden würde. Und so war es auch: Kaum lagen wir im wohlverdienten Doppelzimmer auf dem Bett, legten die Schmerzen in meinen geschundenen Füßen erst so richtig los. Da es bereits relativ spät war, hielt sich unsere Siesta in Grenzen und bald gingen wir auf der Suche nach Abendessen in den Ort. Als wir dort fröstelnd an einer Apotheke sahen, wie die Temperaturanzeige 28°C auswies, wurde uns klar wie extrem heiß es den Tag über tatsächlich gewesen war. In einem Irish Pub genehmigten wir uns ein Guinness, dann hatten die Restaurants nach ihrer ausgiebigen Siesta endlich geöffnet und wir bestellten uns einen Burger mit Pommes. Dabei erfuhren wir, dass unser Plan, Ricki am nächsten Tag durch eine kürzere Etappe unsererseits das Einholen zu ermöglichen, passe war – sie hatte sich eine Magenverstimmung zugezogen und war im Ort am Ende der Römerstraße geblieben. An unserer Absicht am nächsten Tag spät zu starten und wenig zu wandern, änderte das freilich nichts.
Etappe 20: Sahagun – Bercianos del Real Camino (10.6km)
Nach der vorherigen, im wahrsten Wortsinn, Marathon-Etappe, ließen wir es sehr ruhig angehen: Gegen 9 Uhr standen wir auf, dann gingen wir im Ort frühstücken und checkten am Vormittag aus. Loslaufen wollten wir noch nicht, Alexander gönnte sich lieber eine Massage und ich telefonierte mit „zu Hause“. Als wir uns dann schließlich auf den Weg machten, war die nur 11km lange Etappe im Nu erledigt. Nachdem wir in einer Herberge untergekommen waren, widmeten wir uns den drei „E“s, Einkaufen, Essen, Entspannung.
Etappe 21: Bercianos del Real Camino – Mansilla de las Mulas (26.7km)
Wir waren weiterhin in einem sehr entspannten Modus, weil wir den Marathon noch nicht ganz verarbeitet hatten und außerdem Ricki nicht zu weit weglaufen wollten. Also starteten wir erst um halb 8 und gaben als Ziel auch das „lediglich“ 20km entfernte Reliegos aus. Dort kamen wir dann so früh an, dass wir nach einer vollen Stunde Pause beschlossen, doch noch ins weitere 7km entfernte Mansilla de las Mulas zu wandern. Und das war angesichts unserer offensichtlich doch schneller als gedacht regenerierten Energiereserven eine sehr gute Entscheidung! Auch bedingt durch die lange Pause in Reliegos fühlte ich mich so fit, dass ich spaßeshalber „Jagd“ auf vor uns wandernde Bekannte machte. Im Zielort angekommen, bezogen wir Quartier in einem 36er-Schlafsaal und kümmerten uns erstmal darum, dass unsere Wäsche wusch. Dann füllten wir unsere Vorräte an Proviant in einem Supermarkt im Ort auf und verzehrten sogleich einen beträchtlichen Teil der Einkäufe auf einer nahegelegenen Bank. Abendessen sollte es jedoch natürlich auch noch geben – wir fanden das erste richtige Stück Fleisch seit vielen Tagen in einer Art Fernfahrerkneipe (dem Aussehen und Klientel zumindest nach).
Etappe 22: Mansilla de las Mulas – Leon (18.4km)
Die Nacht war furchtbar gewesen – im Schlafsaal war es, bei so vielen Menschen kaum überraschend, nicht nur sehr laut, sondern auch unfassbar warm gewesen. Außerdem hatte ich die ganze Zeit über Sorge aus dem im Raum stehenden und ohne Reling gebauten Stockbett zu fallen. Insgesamt kam mir der Aufbruch um kurz nach 7 Uhr also sehr gelegen. Die ersten Kilometer bis zum Frühstück liefen wir zusammen mit Jenifer, verließen sie dann, nur um bei unserer zweiten Pause, etwa 7km vor Leon, wieder auf sie zu treffen und sie erneut hinter uns zu lassen – etwas ganz Typisches für den Jakobsweg: an einem oder mehreren Tagen trifft man immer wieder dieselben Leute, läuft aber nur selten zusammen. Das letzte Stück nach Leon zog sich dann nochmal, denn es wurde zunehmend heiß und der Weg verlief weitgehend über fuß- und gelenkunfreundlichen Asphalt und zudem auch noch steil abwärts. In Leon angekommen, führte der Jakobsweg natürlich erstmal zur Kathedrale. Unweit dieser fanden wir eine Herberge und gönnten uns ein Doppelzimmer – es war immerhin wieder eine größere Stadt, da war das, wie auch schon in Pamplona, Logroño und Burgos, einfach Standard. Zudem bedeutete unsere Ankunft in Leon auch, dass wir nun die Meseta hinter uns hatten. Nach gehaltener Siesta gingen wir einkaufen und kochten Essen für den nächsten Tag vor. Den Abend beschlossen wir dann in einem Restaurant an der Kathedrale in großer deutsch-schweizerischer Runde.
Der wohl anstrengendste Teil des Caminos war nun geschafft. Zwei harte Anstiege erwarteten uns in den nächsten Tagen aber noch und bald würden wir auf den letzten 100km des Weges sein… Wie es uns bis dahin erging, lest Ihr hier.