Nun waren wir also kurz vor Santiago und hatten wenigstens ein klein bisschen Stress, wenn wir es noch zusammen ans Meer schaffen wollten. So wurden die letzten gut 100km extrem anstrengend – allerdings auch wegen der veränderten Pilgerkultur…
Etappe 31: San Mamede – Gonzar (35.5km)
Nach einer sehr ruhigen und erholsamen Nacht starteten wir mit einem kleinen Frühstück im Magen bereits gegen 7 Uhr und erreichten etwa eine Stunde später Sarria. In Sarria starten die Leute, die nur die letzten 100km wandern – das reicht, um die Compostela, die begehrte Pilgerurkunde zu erhalten. Davon kann man halten, was man will – ich überhaupt nichts. Jedenfalls bedeutete dies, dass der Weg nun völlig überlaufen war, es war ein regelrechter Kulturschock bzw. ein Clash of Cultures: Wir waren seit mehr als 4 Wochen unterwegs, hatten 700km in den Beinen und trugen die ganze Zeit all unser Hab und Gut auf unserem Rücken durch die Gegend. Nun waren Menschen auf dem Weg, die komplett frisch und unbedarft an diesem Morgen zu einer 4-Tages-Wanderung gestartet waren und größtenteils ihr Gepäck auch noch ans Etappenziel vorschickten, also nur mit kleinen Tagesrucksäcken unterwegs waren. Und diese Menschen waren wirklich im Weg. Laut quatschend bevölkerten sie die Wege und obwohl sie ausgeruht und ohne Gepäck waren, konnten sie unserem Tempo nichts entgegensetzten – außer im Weg herumzustehen. Wenigstens trafen wir kurz hinter Sarria Reto wieder. Nach 12km mussten wir ihn allerdings zurück- und wohl für immer verlassen, da er etwas langsamer gehen wollte. Das kam für uns nicht in Frage, wir wollten auf keinen Fall in einem Pulk der Möchtegern-Pilger stecken bleiben. Den 100km-Wegstein, ein beliebtes Fotomotiv, ließen wir links liegen und fotografierten stattdessen einfach den nächsten Wegstein, der erstmals eine zweistellige Distanz auswies. Einige kurze Pausen später erreichten wir den malerischen Ort Portomarin. Hierfür musste die Brücke über den Zufluss des Rio Mino in den Stausee Embalse de Belesar überquert werden und anschließend eine steile Treppe erklommen werden; dann standen wir in der Altstadt von Portomarin. Dort legten wir eine Mittagspause mit Pizza ein. Dank einer Schmerztablette fühlte sich Ricki tatsächlich dazu in der Lage, noch 9km ins nächste Dorf dranzuhängen. Diese waren aufgrund der bereits zurückgelegten Distanz (etwa 27km), der Hitze und unserer nun vollen Bäuche zwar kein Spaziergang, aber wir schafften es. In Gonzar angekommen, quartierten wir uns in einen Schlafsaal ein und trafen dort die Asiatin aus Carrion de los Condes und Vega de Valcarce wieder – ihren Namen erfuhren wir zwar nie, aber für Smalltalk auf Englisch reichte es immer. Wir wuschen noch Wäsche und aßen zu Abend, dann gingen wir schlafen.
Etappe 32: Gonzar – Melide (32.1km)
Als wir uns bereits vor 7 Uhr nach einer unruhigen Nacht auf den Weg machten, war es noch dunkel und sehr kalt. Nachdem wir eine hügelige Passage bewältigt und schon den ein oder anderen Kilometer hinter uns hatten, pausierten wir das erste Mal. Größtenteils war die Strecke sehr angenehm, da es durch bewaldetes Gebiet ging und uns die Hitze so erst nach unserer Mittagspause quälte. Es waren noch 10km, die wir nach anfänglichen Startschwierigkeiten mit ausreichend Wasser, Cola, Musik und Pausen auch bewältigten. In Melide angekommen kamen wir in einem sehr unattraktiven und sehr warmen 20er-Schlafsaal unter. Abends gingen wir noch Pizza essen und einkaufen.
Etappe 33: Melide – O Pedrouzo (33km)
Nach einer der Top-3-schlimmsten-Nächte-auf-dem-Jakobsweg waren wir mal wieder schon vor 7 Uhr auf dem Weg. Die ersten 5km führten uns durch finsteren Wald, an ihrem Ende legten wir eine Frühstückspause ein. Nun waren wir zwar langsam wach, doch setzten bei uns beiden körperliche und motivationstechnische Probleme ein. Die Strecke der beiden vorherigen Tage machte sich bemerkbar, die 100km-Wanderer gingen uns zunehmend auf die Nerven und die Kilometer vergingen nur sehr langsam. Nach etwa 22km machten wir Mittagspause und von da an lief es dann etwas besser, auch wenn das schwül-warme Wetter nicht gerade angenehm war. 4km vor dem Ziel pausierten wir ein letztes Mal und suchten uns nach Ankunft ein Doppelzimmer im Ort. Abends gingen wir noch essen und am nächsten Tag würde es nach Santiago gehen! Wir hatten an den letzten drei Tagen etwa 101km geschafft und waren somit wieder gut im Zeitplan, um es noch rechtzeitig gemeinsam ans Meer zu schaffen.
Etappe 34: O Pedrouzo – Santiago de Compostela (19.7km)
Um möglichst früh in Santiago anzukommen, standen wir bereits um 5 Uhr auf und waren weniger als eine Stunde später auf dem Weg. Jedoch hatten wir das enorme Pech nach wenigen Minuten in eine 50 bis 100köpfige Jugendgruppe zu geraten – wahrscheinlich eine Ferienbespaßung nach dem Motto „Tu in den Ferien etwas für Deinen Lebenslauf – in nur 5 Tagen zur Compostela“. In der Folge waren wir, auch nachdem wir alle 12 bis 16 Jahre alten Halbwüchsigen überholt hatten, sehr schlecht gelaunt, was durch das kalte und neblige Wetter noch verstärkt wurde. Zudem wollten die 20km einfach nicht enden. Irgendwann gegen halb 12 kamen wir dann nach viel Gelaufe durch die Stadt im Regen an der Kathedrale an – allerdings nur an einer unspektakulären Seite, da wir die Front nicht fanden. Das war uns zu dem Zeitpunkt nicht ganz klar, wir waren einfach ziemlich erschöpft und wollten nur ins Hotel, wo Ricki ein Doppelzimmer reserviert hatte. Das jedoch irrtümlicherweise für den 19.10.! So standen wir also im überfüllten Santiago erstmal ohne Unterkunft da. Nachdem wir erfolglos einige volle Herbergen abgeklappert hatten, bekamen wir doch noch ein Hotelzimmer. Ricki hatte beschlossen, sich ein Erinnerungstattoo stechen zu lassen und einen Termin für den Mittag gemacht. Also machten wir uns auf den Weg zum Tattoostudio, welches wir jedoch nicht fanden und auf der Suche wurde klar, dass Ricki auch diesen Termin in den Oktober gelegt hatte. Mit dem Glück der Planlosen fand sie aber tatsächlich direkt ein anderes Tattoostudio, in dem sie sofort tätowiert werden konnte. Dies dauerte nicht mehr als eine Viertelstunde. Danach gingen wir etwas essen und zogen dann zum Pilgerbüro, um unsere Compostela zu holen, was mit einer Wartezeit von etwa 2 Stunden in einer sehr langen Schlange aus Pilgern verbunden war. Den Abend beschlossen wir vor der Kathedrale – ja, wir hatten nun endlich die Vorderseite gefunden und konnten vielen Pilgern beim Ankommen zusehen – und in einem Restaurant. Auf dem Rückweg zum Hotel trafen wir zufällig Reto, der es doch geschafft hatte, genauso schnell zu sein, wie wir.
Nun waren wir also endlich in Santiago de Compostela! Am nächsten Tag sollte es aber gnadenlos weitergehen, unser nächstes und nun auch wirklich endgültiges Ziel lag in Muxia am Meer. Hier lest Ihr von unserem Weg dorthin.