Der Fernwanderweg „Peaks of the Balkans“ führt über 192km, meist aufgeteilt auf 10 Etappen, durch das Prokletje-Gebirge, wobei man drei Staaten durchwandert: Montenegro, Albanien und Kosovo. Hierbei erlebt man nicht nur atemberaubende Landschaften, sondern auch echte Gastfreundschaft und unberührte, wilde Natur. Alle gpx-Tracks findet Ihr auf der Übersichtsseite oder direkt bei Komoot.
Nach den ersten drei Etappen und unserem ersten Ruhetag standen nun wieder vier Wandertage an, die uns von Valbona nach Reka e Allages und so auch von Albanien in den Kosovo führten.
Etappe 4: Valbona – Cerem
12.4 km; 570 m Aufstieg; 400 m Abstieg
Der Effekt des Ruhetags war direkt verflogen, als wir uns mit einem 6 Kilometer langen Asphaltabschnitt konfrontiert sahen – deshalb lassen sich also einige Wanderer von Valbona nach Cerem fahren! Nun gut, wir nicht, und so machten wir das Beste daraus und erfreuten uns an den vielen kleinen Eidechsen, die die Sonne genossen. Uns machte sie etwas zu schaffen, denn Schatten war Fehlanzeige. So waren wir sehr froh, dass nach etwa einer Stunde dieser Abschnitt geschafft war und wir uns in den Wald schlagen durften. Doch auch dieser sorgte nicht für die erhoffte Entspannung, war er doch sehr dicht und ein wirklicher Weg nur selten zu erkennen. Zwischenzeitlich gab es aber selbst hier echte Highlights: Zwei Mal stießen wir auf Stellen, an denen der Weg abgerutscht oder quer durch ein ins Tal hinabstürzendes (zum Glück weitgehend ausgetrocknetes) Flussbett führte, sodass wir dort mit Bedacht traversieren mussten. An einem Wasserkraftwerk verließen wir den Wald und wanderten nun auf Fahrwegen bergauf; bald ergab sich glücklicherweise die Gelegenheit, parallel zum Fahrweg über Wiesen zu wandern.
Und dann unterlief uns der einzige Fehler auf dem Peaks of the Balkans! Wir näherten uns gerade den Ausläufern von Cerem, da wurden wir von einem kleinen Jungen abgefangen, der uns zuerst ausfragte und dann zur Unterkunft seiner Eltern lotste. Dieses doch recht offensive Marketing, was uns hier in dieser Form erstmals begegnete, führte uns ins Guesthouse Relax, welches unter Wanderern nicht den besten Ruf hat, sodass sich sogar im Rother-Wanderführer eine milde Warnung findet. Tatsächlich war das Essen wie üblich gut, es gab Warmwasser und WLAN, das Zimmer war sauber und der schlussendliche Preis fair. Was uns hier eher störte, war, dass hier spürbar mehr das Geschäft als die Gastfreundschaft im Vordergrund stand und das hier besonders offensichtlich traditionell ausgelebte Familienmodell für uns die Stimmung etwas drückte.
Im Endeffekt haben wir uns dort einfach nicht so wohl gefühlt wie in den anderen Herbergen, dennoch war objektiv betrachtet alles okay und wir hatten gelernt, dass man nicht unbedingt den offensivsten Marketingbemühungen nachgeben sollte. In Cerem lohnt es sich also sicherlich, noch ein Stück aufwärts ins Dorf hineinzugehen, dort sind die meisten Herbergen, welche auch ausnahmslos einen guten Ruf genießen.
Etappe 5: Cerem – Doberdol
16.4 km; 990 m Aufstieg; 400 m Abstieg
Am nächsten Tag starteten wir gegen halb neun, unser Gastgeber, der übrigens gut Deutsch sprach, führte uns netterweise vom Grundstück zurück auf den Weg und mokierte sich dabei – aus seiner Sicht definitiv verständlicherweise – über die Wanderer mit ihren 20kg-Rucksäcken, die trotz der niedrigen Preise und der tollen Gastfreundschaft allerorts mit Zelt und viel Proviant unterwegs sind. Nach etwa einer halben Stunde und einem unerfreulichen Wiesenaufstieg trafen wir an der ersten Einkehrmöglichkeit, einer holzgezimmerten Bar, auf die Wanderer, die im oberen Ortsteil übernachtet hatten.
Dem Fahrweg ansteigend folgend passierten wir alsbald eine wahre Absurdität: Sehr zufällig anmutend hatte man an den Weg einen großen Panoramabalkon gebaut, der einen großartigen Ausblick bot – auf den Wald. Wenige hundert Meter weiter und es hätte sich ein tolles Bergpanorama geboten… Naja, immerhin ist der Wille zu Tourismus offensichtlich da. Wenig später erreichten wir die Grenzpyramide am Qafa e Vranices, an der wir den Abzweig Richtung Nordosten wählten und so in einen schönen Mischwald gelangten. Nun wechselten sich Wiesen- und Waldstücke ab und gegen Mittag erreichten wir eine augenscheinlich noch sehr neue Einkehrmöglichkeit, die im Rother-Wanderführer von 2020 noch nicht verzeichnet ist. Unter dieser wirklich schönen und gepflegten Bar leiden jedoch die Menschen in der Hirtensiedlung Balqin, die wir wenig später erreichten – hier ist alles deutlich älter und etwas heruntergekommen, sodass kaum jemand das Bedürfnis verspürt, einen Stopp einzulegen, insbesondere nachdem man sich erst kurz zuvor stärken konnte. Die nächsten ein, zwei Stunden wanderten wir leicht ansteigend und genossen den weichen Waldboden und die tolle Natur, ließen es daher etwas langsamer angehen. Doch dann verdunkelte sich der Himmel und aus der Ferne hörten wir Donnergrollen – jetzt aber schnell! Pausen waren nun gestrichen und wir beeilten uns, in den höchstgelegenen Etappenort auf dem Peaks of the Balkans zu gelangen – Doberdol, auf 1797 m gelegen.
So erreichten wir das traumhafte Trogtal bereits um halb drei in beginnendem Regen, ließen uns von einem wirklich niedlichen kleinen Mädchen, das ihre Deutschkenntnisse zum Besten gab („Bitte“, „Danke“, „Ich liebe Dich“), nicht in die Herberge ihrer Familie locken, sondern steuerten zügigen Schrittes unser Ziel an: Guesthouse Bashkimi. Bashkim und seine stetig wachsende Unterkunft hatten wir in der Peaks-of-the-Balkans-Episode der MDR-Produktion Biwak gesehen, welche lustigerweise am Abend unserer Abreise im TV kam, und wir wussten direkt: Da wollen wir hin! Und das war eine gute Entscheidung: Bashkim betreibt schon fast mehr ein Camp als eine Unterkunft, viele kleine Hütten liegen verstreut auf seinem Grundstück, und er erweitert sein Camp stetig mit viel Liebe und Sachverstand. Auf Deutsch oder Englisch kann man sich leider nicht mit Bashkim unterhalten, der sicherlich viel vom Leben in Doberdol zu erzählen wüsste. Dennoch kam er nach dem üppigen Abendessen zu uns und zeigte uns auf seinem Handy Fotos von sich, seiner Familie und Doberdol.
Für mich wurde Doberdol noch an diesem Tag zum Sehnsuchtsort. Das saftig grüne Tal mit Wasserläufen, mehr oder weniger freilaufenden Kühen und den vielen verstreuten Häusern, das im Winter unter meterhohem Schnee verschwindet und dann unbewohnbar ist, erinnert vielleicht am ehesten an Island oder Faröer, hat aber seinen ganz eigenen Charme, den man einfach erlebt haben muss!
Etappe 6: Doberdol – Milishevc
19.7 km; 920 m Aufstieg; 1010 m Abstieg
Nach einem großzügigen und sehr leckeren Frühstück verließen wir Bashkim gegen halb neun und quälten uns sodann einen sehr steilen Wiesenanstieg aus dem Trogtal hinauf. Eine gute Stunde später blickten wir auf das nun 400 m unter uns liegende Doberdol herab. Den Abstecher auf den Dreiländergipfel Trekufiri sparten wir uns und wanderten stattdessen direkt auf dem Kamm, der die kosovarisch-montenegrinische Grenze darstellt, weiter bis zur Kreuzung am Qafa Bogiqes. Wer hier nach links geht, gelangt nach Babino Polje, wir hielten uns weiter geradeaus und überquerten nach kurzem Anstieg die Grenze zum Kosovo endgültig. Wenig später erreichten wir den Roshkodol-Pass, nach dem uns mit dem gleichnamigen Tal eines der absoluten Highlights des Peaks of the Balkans erwartete. Zuvor hatten wir auf dem Pass aber noch eine lustige Begegnung: Wir trafen drei Französinnen, die wir bei Bashkim kennengelernt hatten, und nachdem sie mit uns die Reste des Abendessens geteilt hatten, fragten sie nach dem weiteren Weg. Nun ist es so, dass diese Stelle im Rother-Wanderführer explizit erwähnt wird: „Vom Roshkodoli-Pass führt ein ausgetretener Pfad westwärts. Diesem folgen wir aber nur kurz, denn sonst kämen wir zurück auf den Grenzkamm zwischen Montenegro und Kosovo. Weil unser Abzweig ins Tal nicht markiert ist, müssen wir aufmerksam sein. Schon etwa 50 m nach dem Pass ragt links vom Pfad ein Felsblock aus dem Gras, der sich 30 m lang parallel zum Pfad entlangzieht. Hier müssen wir nach rechts abbiegen.“ Zu sehen ist dieser unerwartete Abzweig auch auf der gpx-Route. Leider gelang es mir nicht, die Französinnen von der Richtigkeit dieser Information zu überzeugen, in ihrer Faltkarte vom Peaks of the Balkans – offensichtlich Material von einer Tourist-Info – fand sich kein Hinweis hierzu. Was meine Argumente ebenfalls weniger überzeugend wirken ließ war, dass zeitgleich eine Gruppe von Wanderern genau den falschen Weg wählte…
Nun gut, wir bogen wie beschrieben ins Roshkodol-Tal ab und hatten unsere helle Freude an der Natur, auch wenn wir uns hier selbst etwas verliefen und daher an einer Stelle 80 m über eine sehr steile Wiese zum eigentlichen Weg absteigen mussten. Im Roshkodol-Tal ist „der“ Weg nicht immer ganz klar, es gibt einfach zu viele kleine Wege und Trampelpfade, die Richtung ist aber offensichtlich, deshalb kann man sich hier nicht wirklich gravierend verlaufen.
Viel zu schnell endete dieses Idyll aber auch wieder und so wanderten wir bald durch das Dorf Roshkodol, was angesichts zahlreicher Bauaktivitäten den Eindruck machte, als wollte es sich am Peaks of the Balkans als möglicher Etappenort positionieren. Ganz so weit war man im Herbst 2022 aber noch nicht, sodass wir weiter Richtung Milishevc gingen. Der Weg dorthin verlief nun stetig ansteigend über einen geschotterten Fahrweg und wir kamen in überraschend kurzen Abständen an Trinkwasserquellen am Wegesrand vorbei – das EU-Geld für die Via Dinarica wollte schließlich ausgegeben werden! Kurz vor unserem Ziel durchquerten wir die Siedlung Zllonopoj, die ein bisschen wie ein Geisterdorf anmutete – keine Menschen, dafür aber aggressives Hundegebell und viele – selbst für den Balkan – heruntergekommene Gebäude. Kurz bevor der allnachmittagliche Regen einsetzte, schafften wir es noch zum Gästehaus Kulla, wo wir in einem Zimmer von der Größe des darinstehenden Bettes einquartiert wurden und später im Wohnzimmer der Familie gemeinsam mit anderen Wanderern – natürlich vor allem Deutsche – das Abendessen einnehmen durften.
Etappe 7: Milishevc – Reka e Allages
16.3 km; 900 m Aufstieg; 1340 m Abstieg
Wie tags zuvor Doberdol verließen wir auch Milishevc auf einem steilen Wiesenanstieg, der uns auf eine Höhe von über 2100 m führte. Hinter dem dicht bewachsenen Sattel verlief der Weg zunächst flach und bald gelangten wir zum in einer Senke liegenden See Pusi i Magareve. Hier verloren wir einiges an Zeit, weil wir nicht den Weg westlich oberhalb der Senke fanden, sondern in die Senke hinabstiegen und somit am Ende des Sees wieder aus der Senke aufsteigen mussten. Damit nicht genug: Am See weidete eine Kuhherde und das natürlich genau auf unserem Weg. So verbrachten wir bestimmt 10 Minuten damit, uns langsam der Herde zu nähern, genau auf ihre Reaktionen zu achten und sie schließlich vorsichtig zu durchqueren.
Kurz nach dem See begann dann der Abstieg ins Rugova-Tal, bei welchem man auf 6 km etwa 1100 m an Höhe verliert. Der Weg verläuft hier also sehr steil und bei uns kam noch hinzu, dass alles nass war und wir so mehr rutschten als wanderten – dass wir anderthalb Stunden lang kein einziges Foto machten, sagt wohl alles über den Weg… Am Rugova-Camp angekommen stärkten wir uns mit der günstigsten Cola des Peaks of the Balkans (nur 1 € pro Dose!) und machten uns auf den nun sehr unerfreulichen Weg nach Reke e Allages, der die verbleibenden 6 km nur noch über Asphalt führte und auch noch 400 m aus dem Rugova-Tal aufstieg. Beim Gästehaus Ariu von Mustafa wurden wir dann aber so freundlich empfangen und später auch lecker verköstigt, dass die Strapazen des Tages schnell vergessen und wir sehr zufrieden waren, diesen Ort für unseren nächsten Ruhetag ausgewählt zu haben.
Nach unserem zweiten Ruhetag erwarteten uns noch drei Etappen – lest hier, wie wir die letzten 55 km nach Plav erlebten!